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Die Baumkuchen-Lektionen von Hans Fallada

Der Schauspieler Hans-Jochen Röhrig liest im Brandenburger Theater tolle Geschichten des berühmten Schriftstellers

MAZ  24.2.2020

Brandenburg/H.

„Keine Strafe zu bekommen ist schlimmer als für begangenes Unrecht bestraft zu werden.” 

Wie er schon in jungen Jahren zu dleser Erkenntnis gekommen ist, erzählt der Schriftsteller Hans Fallada (1893-1947) in der Geschichte „Festessen*

Märkische Leselust” heißt die beliebte Lesereihe, mit der das Hans Otto Theater Potsdam am Brandenburger Theater regelmäßig zu Gast ist. Der Schauspieler Hans~Jochen Röhrig lässt in seinen temperamentvollen Lesungen ganze Welten entstehen und entführt seine Zuhörer  in vergangene Zeiten.

Am vergangenen Sonntag standen zwei Geschichten von Hans Fallada auf dem Programm. Als seine Eltern einmal nicht zu Hause waren, erzählt Fallada in der Geschichte “Das Festessen“, hat er mit seinem Bruder in der heimischen Speisekammer einen dort abgestellten Baumkuchen „verunstaltet“.

Die Geschwister naschten so viel davon, dass der Kuchen schießlich völlig gerupft aussah und keinem Gast mehr vorgesetzt werden konnte. Zitternd erwarteten die beiden Buben das große Donnerwetter, das aber unerklärlicherweise ausblieb. Und auch am nächsten Tag sowie an allen folgenden Tagen wurde die Untat von den Eltern totgeschwiegen.

Die Brüder, die mit schlimmster Bestrafung gerechnet hatten, fanden das sehr unangenehm. Doch etwas hat sich geändert. Seither gab es Baumkuchen satt, morgens, mittags, zur Vesper und abends.

Die Jungen bekamen nichts anderes mehr serviert als Baumkuchen, immer wieder Baumkuchen.

Tagelang. Als es schließlich endlich wieder etwas anderes zu essen gab, schmeckten den Jungen sogar Speisen, die sie vorher verabscheut hatten. Falladas Fazit: Die Strafen seines Vaters betrafen immer das Gebiet, auf dem gesündigt worden war.

Fallada hatte die Fähigkeit, die unterschiedlichsten Situationen präzise und realistisch zu beachreiben. Der Leser seiner Geschichten erfährt viel vom Leben in großbürgerlichen Haushalten zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

So war damals eine strikte Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau üblich. Der Hausherr war für die Auswahl) des Weins zuständig, obwohl seine Frau weitaus mehr davon verstanden hatte als er. Der Mutter blieb der Rest überlassen.

In seinen Geschichten beschreibt Fallada Menschen wie du und ich, die sich bis heute kaum verändert haben: Hausfrauen, die sich mit der Gestaltung von Einladungen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen, zerstreute Zeltgenossen wie den Kammergerichtsrat, der mit dem gedankenverlorenen Entwenden von Trinkgeldem ein wahres Rätselraten ausgelöst hat.

Sehr vertraut ist uns Heutigen auch der Protagonist der zweiten Geschichte, die Röhrig am Sonntag vorgelesen hat. In „Der Prozess“ ging es um einen Mann, der sich als Prinzipienreiter mit endlosen Prozessen am Ende selbst geschadet hat, und das, obwohl er immer im Recht gewesen war, Falladas Fazit: »Prozesse sind Menschenfresser“.

Hans-Jochen Rohrig las Hans Fallada

Theater in „Meetingpoint 1/2

Erstellt: 24.02.2020 / 14:01 von Helga Stöhr-Strauch

Meetingpoint 1/2

Funkelnde ,,Markische Leselust im bt:

Hans-Jochen Röhrig las Hans Fallada

Theater

Erstellt: 24.02.2020  von Helga Stöhr-Strauch

Der Schriftstelier Hans Fallada wurde mit Romanen wie ,Kleiner Mann – was nun?“ oder „Jeder stirbt für sich allein“ zum Bestsellerautor des 20. Jahrhunderts. Trotzdem war sein Leben extrem und tragisch. Als Rudolf Ditzen kam er 1893 in Greifswald zur Welt, Sein Vater war Landrichter. Fallada fühlte sich zeitlebens von ihm geringgeschätzt. Schon als Kind wollte er unbedingt Schriftsteller werden und hatte bereits das entsprechende Briefpapier bedrucken lassen. Er litt unter Schlatstörungen und Zwangsvorstellungen, wies sadistische und neurotische Neigungen auf, war verhaltensauffällig gegenüber seinen Mitschülern und versuchte nach zahlreichen Schulwechseln im Alter von 18 Jahren mit seinem Freund Hanns Dietrich von Necker einen als Duell getarnten Doppelselbstmord zu begehen. Während von Necker den Versuch nicht überlebte, stürzte Fallada in eine schwere Alkohol-, Tabak- und Morphinabhängigkeit. Beschaffungskriminalität und Gefängnisaufenthalte waren die Folge. Diese boten, gemeinsam mit zahlreichen Entzugskuren, die Gelegenheit, sich einer anderen Sucht hinzugeben: der Schreibsucht. Bis heute gilt Hans Fallada als produktiver  Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ und als sehr umstrittener Autor. Ließ seine zutiefst gespaltene Persönlichkeit ihn doch einerseits die Nationalsozialisten verachten, andererseits einen antisemitischen Roman schreiben. Fallada starb dreiundfünfzigjährig an den Folgen seiner Exzesse.

Detailreich und einfühisam stimmte der Fallada-Biograf Dr. Peter Walther auf die Lesung ein, die als Gastspiel des Hans Otto Theaters viele interessierte ins Brandenburger Theater lockte. Und schnell war von der Nachdenklichkeit die er

hervorgerufen hatte, nichts mehr übrig. Wusste der Schauspieler Hans-Jochen Röhrig mit

seinem lebhaften Vortrag der beiden Kapitel .Festessen“ und ,Prozesse* aus dem Werk

,Damals bei uns daheim* nicht nur alle Vorbehalte gegen den Dichter, sondern auch einen

Teli seines Mikrofons vom Tisch zu fegen. Lebendig, funkelnd und komödiantisch brillant

entführte Röhrig seine Zuhörerinnen und Zuhörer in eine längst vergangene Zeit, die nur

scheinbar intakt war, und wo zwischen den lustvoll beschriebenen Banalitäten und

Petitessen eines bürgerlichen und durchaus vermögenden Haushalts die Fesseln des

wilhelminischen Zeitalters, die Borniertheit der Menschen, aber auch das angespannte

Verhältnis zum Vater immer wieder aufblitzte. So stand plötzlich nicht der Psychopath,

sondern der wortgewallig beobachtende Dichter und Mensch Hans Fallada im Raum. Pointiert  und aufgeräumt wurde Röhrig dabei von Rita Herzog am Klavier unterstützt und erweckte auf besonders feinsinnige Weise die schillernde Persönlichkeit Hans Falladas zu neuem Leben.